Etwas mehr als eineinhalb Jahre ist die rot-grün-gelbe Koalition im Amt. Wenig war bisher zum Reformprojekt "Kirchliches Arbeitsrecht" zu hören. Nun scheint es nach Informationen aus Bundestagskreisen endlich voranzugehen. Unterdessen hat ver.di im Mai eine Petition an Bundesarbeitsminister Heil und die Bundestagsabgeordneten gestartet, um eindringlich für die Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts zu werben.
Was das Ergebnis der bevorstehenden Erörterungen zum kirchlichen Arbeitsrecht im Bundestag sein wird, ist derzeit offen. Gelang es der SPD doch – entsprechend ihrer Wahlaussage, aber entgegen dem Parteitagsbeschluss von 2013 – in den Koalitionsverhandlungen durchzusetzen, dass lediglich eine gemeinsame Prüfung mit den Kirchen dazu vorgenommen werden soll, "inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann." Diese Klausel bedeutet jedoch keineswegs, dass eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts mit Gesetzesänderungen etwa bei Paragraf 118 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gänzlich ausgeschlossen ist. Hierzu sollten unbedingt die SPD-Parlamentarier*innen und die SPD-Mitglieder eindeutig Stellung beziehen.
Grüne Bundesdelegiertenkonferenz bestätigt Reformkurs
Bündnis 90/Die Grünen hingegen hatte sich bereits im Wahlprogramm 2021 zu einer substantiellen Reform (u.a. mit Abschaffung des § 118 Abs. 2 BetrVG und dem Ziel der arbeitsrechtlichen Gleichstellung von Beschäftigten bei Caritas und Diakonie mit denjenigen in karitativen Betrieben von AWO, DRK, Volkssolidarität u.a.) bekannt. Auf Antrag der Säkularen Grünen wurde diese konsequente Reformposition in einem nahezu einstimmig ergangenen Beschluss auf einer Bundesdelegiertenkonferenz im Oktober 2022 bekräftigt:
"Die Ausnahmeregelungen zu Lasten der Beschäftigten im Betriebsverfassungsgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind nicht akzeptabel. Wir fordern, dass die Verweigerung des Schutzes der Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen durch das Betriebsverfassungsgesetz in § 118 Abs. 2 BetrVG und durch Personalvertretungsgesetze beendet wird.
Die gewerkschaftliche Mitbestimmung muss umfassend gefördert werden.
Der religiöse Verkündigungsbereich bleibt von den Neuregelungen unberührt.
Die Rechte der Beschäftigten müssen auch in Hinsicht auf die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen und Flächentarifverträgen gestärkt werden."
In dem Beschluss wurde auch die bis dato fehlende parlamentarische Behandlung des kirchlichen Arbeitsrechts beanstandet:
"Wir stellen fest: in der bisherigen Regierungszeit sind keine substantiellen Initiativen der Koalition auf diesem Gebiet erkennbar. Das kann im Interesse der Beschäftigten nicht weiter hingenommen werden. … Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass es den drei Koalitionsparteien am nötigen Reformwillen zum kirchlichen Arbeitsrecht fehlt und sie vor einer Reform von Betriebsverfassungsgesetz und Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz zurückscheuen."
Trotzdem ist mit Gegenwind in der Koalition zu rechnen. Dabei geht es nicht nur um die SPD, sondern ebenso um die FDP. Dass die FDP Desinteresse an einer Reform des kirchlichen Arbeitsrechts zeigt, irritiert zwar angesichts mancher Kleriker-kritischen und säkularen Äußerungen in programmatischen Parteiaussagen, ist aber derzeit wohl nicht zu ändern: die FDP ist bei diesem Thema kein Reformmotor, sondern muss mitgeschleppt werden. Da gilt es aus der Zivilgesellschaft an den geschlossenen Koalitionsvertrag unmissverständlich zu erinnern.
Zivilgesellschaft muss aktiv werden
Die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts ist kein Selbstläufer. Umso wichtiger ist, dass ein starker Druck aus der Zivilgesellschaft für die längst überfällige Reform entfaltet wird.
Dabei kommt es vor allem auf ver.di und die Beschäftigten in den Betrieben in kirchlicher Trägerschaft an; aber auch auf die säkular orientierten Kräfte in Deutschland kommen noch große Anstrengungen zu. Spätestens im Herbst sollte Flagge gezeigt werden.
ver.di mobilisiert mit Petition an Minister Heil und Bundestag
ver.di hat im Mai zur breiten Mobilisierung für die Reform eine Petition "Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte" gestartet. Sie richtet sich an den Arbeitsminister Hubertus Heil und die Bundestagsabgeordneten von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP.
Die Forderungen der Petition lauten:
"Schluss mit Diskriminierung wegen privater Entscheidungen: Streichung der Sonderregeln für Kirchen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§ 9 AGG)
Volle Mitbestimmung auch für Kirchenbeschäftigte: Streichung gesetzlicher Ausnahmen (u.a. § 118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz)"
Mario Gembus, für "Kirchen, Diakonie und Caritas" zuständiger Gewerkschaftssekretär, nennt in der Begründung der Petition einige wichtige Gründe für die Abschaffung des besonderen kirchlichen Arbeitsrechts: die Diskriminierung von Beschäftigten aufgrund privater Entscheidungen wie Austritt aus der Kirche oder aufgrund ihrer privaten Lebensführung, weiterhin die gegenüber nichtkirchlichen Betrieben im karitativen und Sozialbereich erheblich eingeschränkten Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten, weshalb die Durchsetzungsmöglichkeiten von Mitarbeitervertretungen gegenüber den Arbeitgebern auch erheblich geschwächt sind. Weiter verweist er auf die Verbannung von Gewerkschaften aus dem kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht, was er als "gravierende Schwächung demokratischer Teilhabe" bezeichnet.
Zum kirchlichen Arbeitsrecht sind seit Jahren öffentlich vor allem die Diskriminierungen – bis hin zu Kündigungen – aufgrund außerdienstlichen privaten Verhaltens von Beschäftigten öffentlich kritisiert worden und haben immer wieder bundesweit für Empörung gesorgt. Zu nennen sind etwa arbeitgeberseitige Schikanen bei Kirchenaustritt, Wiederverheiratung (entgegen kirchenrechtlichen Vorschriften) oder queeren Partnerschaften.
Kollektives Arbeitsrecht: Schlechterstellung der Beschäftigten
Weniger bekannt und eher selten in der öffentlichen Debatte beachtet wurde der Bereich des kollektiven Arbeitsrechts, was etwa Mitbestimmung im Betrieb und auch das Streikrecht angeht. Umso wichtiger, dass auch das kollektive Arbeitsrecht in der Reformdebatte angemessen thematisiert wird.
ver.di-Sekretär Gembus weist in der Petitionsbegründung zudem auf einen zentralen Gesichtspunkt für die Änderung des Arbeitsrechts hin, der von Seiten der kirchlichen Arbeitgeber entweder geleugnet oder heruntergespielt wird, steht er doch dem ideologischen Konstrukt einer Dienstgemeinschaft, in der vermeintlich durch Wort und Tat im Dienst am Nächsten in sozialen und karitativen Berufsfeldern die biblische Heilsbotschaft verkündet wird, diametral entgegen. In der Petitionsbegründung heißt es:
"Gleiches Arbeitgeberverhalten – dennoch Sonderrechte?
Kirchliche Arbeitgeber beschäftigen rund 1,8 Millionen Menschen. Sie betreiben Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und -dienste, Einrichtungen der Behinderten und Jugendhilfe, Rettungsdienste, Kitas u.a.m. Wie bei anderen Trägern werden diese fast ausschließlich aus Steuermitteln und Sozialversicherungsbeiträgen finanziert. Kirchliche Unternehmen betreiben Tarifflucht und Outsourcing, nutzen Leiharbeit und sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse. Sie verhalten sich wie andere Arbeitgeber, beharren aber auf Sonderregeln im Arbeitsrecht. Das passt nicht zusammen."
Lange ist es her, dass bei den Beschäftigten die klerikal Gebundenen (Nonnen, Mönche, Ordensangehörige usw.) die Anzahl der "weltlichen" Mitarbeitenden erheblich überstieg. Klerikal Gebundene sind heute in Caritas und Diakonie eine verschwindende Minderheit. Dass die alten Zeiten unwiderruflich vorbei sind, scheint für manche ideologischen Verfechter*innen des kirchlichen Arbeitsrechts noch nicht hinreichend Realität zu sein.
Dabei ist bekannt und oft erörtert: Diakonie und Caritas sind am Markt operierende Großunternehmen, die ebenso wie private Betriebe und die gemeinnützige Konkurrenz außerhalb kirchlicher Trägerschaft einem Wettbewerbs- und Kostendruck unterliegen und mit privatwirtschaftlichen Managementmethoden rationalisieren und den Wettbewerbs- und Kostendruck an die Beschäftigten weitergeben. Nur die für die Beschäftigten erforderlichen Instrumentarien zur Wehr gegen die Arbeitgeber sind mindere im Verhältnis zu denen im "normalen" Arbeitsrecht.
Bestreiten die kirchlichen Arbeitgeber den dort Beschäftigten nach wie vor ein generelles Streikrecht, so haben sie überhaupt kein Problem damit, Tarifabschlüsse des Öffentlichen Dienstes zu übernehmen. Motto: Die Kosten von Arbeitskämpfen sollen die anderen tragen, wir sparen uns das! Dies könnte wohl mit Fug und Recht als Trittbrettfahren bezeichnet werden.
Herbst 2023: Reformdebatte soll beginnen
Jetzt in der Nähe der Halbzeit der Legislaturperiode rührt sich zum kirchlichen Arbeitsrecht in der Koalition etwas – bekanntgeworden ist in den letzten Tagen: Im September 2023 beginnen die Gespräche über die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts, zunächst in einer Runde, in der das Arbeitsministerium, Vertreter der großen christlichen Kirchen und Parlamentarier*innen vertreten sind. Derzeit vorgesehen sind vier Tagungen in monatlichem Abstand. Soweit nötig, sollen zur Vertiefung einzelner Punkte Untergruppen gebildet werden.
Ein Themenplan, nach dem gearbeitet werden soll, ist noch in der Abstimmung und steht bislang nicht endgültig fest. Reformbedürftige Themen im kollektiven Arbeitsrecht sind jedenfalls: Änderung des Paragrafen 118 Absatz 2 BetrVG, des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), die Datenschutzgrundverordnung (DGSVO), die problematische Gleichstellung von Arbeitsvertragsrichtlinien aus dem kirchlichen Bereich mit Tarifverträgen in Sozial- und Arbeitsgesetzen.
Die Zusammensetzung der Runde: Für die beiden Konfessionen werden jeweils voraussichtlich acht Personen aus der "Verfassten Kirche" und den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden beteiligt sein. Aus dem römisch-katholischen Bereich werden, wie zu hören ist, voraussichtlich auch Beschäftigte aus Mitarbeitervertretungen und arbeitsrechtlichen Kommissionen, die die kirchlichen Positionen unterstützen, in der Runde vertreten sein. Seitens der Koalitionsparteien werden für jede der drei Fraktion zwei Bundestagsabgeordnete an den Gesprächen teilnehmen. Es scheint auch beabsichtigt zu sein, ver.di – in welcher Form auch immer – an den Gesprächen zu beteiligen. Sichere Informationen hierzu liegen aber bislang nicht vor.
Beschäftigtenvertreter*innen auf dem Ticket der römisch-katholischen Institutionen in der Eröffnungsrunde? Hierzu muss man wissen: während die bundesweiten Gremien der Mitarbeitervertretungen und die Vertreter*innen in der Arbeitsrechtlichen Kommissionen im römisch-katholischen Bereich gemeinsam mit ihren Arbeitgebern und Bischöfen Reformen im kollektiven Arbeitsrecht ablehnen, ist das auf der evangelischen Seite anders. Hier unterstützt die Bundeskonferenz der Arbeitsgemeinschaften und Gesamtausschüsse der Mitarbeitervertretungen in der Diakonie (buko agmav + ga) die Forderungen nach Änderungen.
Hintergrund dürfte die größere politische Beweglichkeit im evangelischen Bereich sein. Nicht nur wurde die Ausgrenzung von Homosexuellen viel früher beseitigt; es werden seit einiger Zeit auch Tarifverträge geschlossen. Die bisherigen Erfahrungen mit Flächentarifverträgen bei evangelischen Landeskirchen und Diakonischen Werken sind als positiv für die Beschäftigten zu werten.
Lange Zeit sah es so aus, als würde es eine Blockade dieser Angelegenheit aus dem Ministerium Heil geben. Mit Heil selbst und der Staatssekretärin Kerstin Griese haben dort hochrangig kirchennahe Personen maßgebliche Positionen inne. Aber einen solch starken Einfluss zur Verhinderung bereits der parlamentarischen Befassung mit dem kirchlichen Arbeitsrecht haben die großen christlichen Kirchen in Deutschland mittlerweile nicht mehr: Skandale, sexualisierte Gewalt durch Geistliche, Mitgliederschwund und rapide Abnahme der ideologischen Deutungshoheit in der Zivilgesellschaft schwächen sie enorm.
Zudem: Langjährig kampferprobte Gewerkschafter wie Frank Bsirske (Grünen-MdB) werden den kirchennahen Bundestagsabgeordneten und Regierungsmitgliedern eine Absetzung des Reformthemas von der Tagesordnung nicht durchgehen lassen.
Innerkirchliche Teilreformen – Argumente gegen gesetzliche Regelung?
Mittlerweile liegt für die römisch-katholische Kirche seit 2022 eine reformierte "Grundordnung des kirchlichen Dienstes" vor, die das innerkirchliche Arbeitsrecht regelt. Unter dem Druck aus der Zivilgesellschaft und von innerkirchlichen Gruppen sowie der im Koalitionsvertrag enthaltenen Forderung der Reform des besonderen kirchlichen Arbeitsrechts kam es zu einer Neuregelung der Loyalitätspflichten der Beschäftigten; die persönliche Lebensgestaltung soll jetzt nicht mehr zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. Eine gewichtige Ausnahme bleibt jedoch: ein Kirchenaustritt führt "in der Regel" auch in Zukunft zur Kündigung. Ketzer sollen sich nicht outen, da bleibt es bei der Sanktion des Entzuges der materiellen Lebensgrundlage. Keine Änderung der Grundordnung gab es für den Bereich des kollektiven Arbeitsrechts.
Eine Neuordnung des kirchlichen Arbeitsrechts für die evangelische Kirche ist derzeit in Arbeit, wobei auch mit dem Abräumen einiger Positionen zu rechnen ist, wohl aber nicht mit der Sanktionierung von Kirchenaustritten.
Auch wenn in den kircheninternen Regelungen positive Elemente durchaus vorhanden sind: diese Regelungen können jederzeit wieder abgeändert werden. Eine Garantie für die Anwendung des allgemeinen Arbeitsrechts haben die Beschäftigten nur bei einer gesetzlichen Regelung.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass mit Verweis auf die interne Reformagenda der beiden Kirchen insbesondere Stimmen aus der SPD und der FDP einen Verzicht auf eine gesetzliche Regelung propagieren werden, nach dem Motto: die Kirchen hätten doch gezeigt, dass sie aus eigener Kraft Reformen durchführen können.
Die Erwartungen von Gewerkschaften, säkularen gesellschaftlichen Kreisen und von vielen Mitgliedern der Regierungsparteien richten sich auf eine Abschaffung des diskriminierenden besonderen kirchlichen Arbeitsrechts; der Kampf für die grundlegende Reform steht unter dem Leitsatz "Gleiches Arbeitsrecht für alle".
Hierfür gilt es in den kommenden Monaten vehement zu mobilisieren.
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