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Humanistische "Seelsorge"? Nein Danke.

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Religionsgemeinschaften bieten Seelsorge in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen an. Humanistische Organisationen diskutieren darüber, inwieweit analog zur religiösen Seelsorge in diesen Bereichen auch eine nicht-religiöse, humanistische Lebensberatung angeboten werden sollte – und wie man diese nennen soll. Thomas Heinrichs plädiert dafür, eine solche humanistische Lebensberatung keinesfalls "Seelsorge" zu nennen. Eine soziale, von einem humanistischen Ethos getragene Tätigkeit ist ein wesentlicher Schwerpunkt des zivilgesellschaftlichen Engagements der humanistischen Verbände. Diese Tätigkeit entfalten die Verbände unter anderem im Bereich der Kindererziehung, der Jugendarbeit, der Alten- und Armenhilfe, der Konfliktberatung oder der Begleitung Kranker, Sterbender und Trauernder, um nur die wichtigsten Felder zu nennen. Die Verbände nutzen dabei zumeist ihre Stellung als den Religionen gleichgestellte profane Weltanschauungsgemeinschaften, um für diese sozialen Tätigkeiten, die auch von den Religionen ausgeübt werden, staatliche Fördergelder zu erhalten. Das ist sinnvoll. Zu den Bereichen, in denen der Staat die Religionen fördert, gehört auch die sogenannte "Anstaltsseelsorge". Dabei handelt es sich um einen in Artikel 141 der Weimarer Reichsverfassung geregelten Bereich aufsuchender Seelsorge, der durch Artikel 140 GG ins Grundgesetz übernommen wurde. Inzwischen werden neben den christlichen Kirchen auch die Juden und Muslime hierbei berücksichtigt und finanziell gefördert. Für die humanistischen Verbände stellt sich die Frage, ob sie auch hier tätig sein wollen und wenn man dies bejaht, wie man die eigene Tätigkeit in diesem Bereich benennt. Können humanistische Weltanschauungsverbände "Seelsorge" betreiben? Artikel 141 WRV benennt die Seelsorge im Heer, in Krankenanstalten, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Anstalten (z. B. kasernierte Polizei). Da die Insassen solcher Anstalten diese nicht einfach so verlassen können, garantiert Artikel 141 WRV, dass die Religionsgemeinschaften ein Zugangsrecht haben, um dort ihre Mitglieder betreuen zu können. Dieses Recht haben über den allgemeinen Gleichstellungsgrundsatz aus Artikel 137, Absatz 7 WRV auch die Weltanschauungsgemeinschaften. Dass die humanistischen Verbände eine solche Betreuungsmöglichkeit für konfessionsfreie humanistisch orientierte Bürger anbieten sollten, ist für Krankenhäuser und Strafanstalten unstrittig. Hinsichtlich der Betreuung von Soldaten ist strittig, in welcher Form dies geschehen sollte, ob man dazu wie im bestehenden System der Soldatenseelsorge angestellte Betreuer in der Bundeswehr möchte oder lieber eine externe Beratung durch eigene, nicht in die Bundeswehr integrierte Berater durchführt. Um diese Frage soll es hier jedoch nicht gehen (vgl. dazu den Artikel des Autors beim hpd: "Der HVD in der Bundeswehr?"). Im folgenden geht es um die Frage, wie man diese – einmal möglichst neutral formuliert – "humanistischen Lebensberater" und ihre Tätigkeit nennt. Hierzu wird von Einigen in den Verbänden die Position vertreten, diese humanistischen Lebensberater als "humanistische Seelsorger" zu bezeichnen und ihre Tätigkeit entsprechend als "humanistische Seelsorge". Um beurteilen zu können, ob dies aus einer weltanschaulichen Perspektive ein sinnvoller Name für eine solche Tätigkeit sein kann, muss man klären, was der Begriff der "Seele" bedeutet, was heute die Tätigkeit der "Seelsorge" ist und generell muss man wissen, auf welchem sozialen Feld man sich mit einer solchen Tätigkeit heute bewegt. Eine kurze Geschichte des Seelenbegriffs "Seele" ist ein sehr alter Begriff. In unserem Kulturraum kommt er aus dem Griechischen. "Psychein" ist der Hauch. Die Seele ist der Hauch, der den Körper im Moment des Todes durch den Mund oder Wunden verlässt. Seele ist damit ein Begriff, der eine Wissenslücke füllt. Vor Entstehung der modernen Naturwissenschaften wussten die Menschen nicht, wie das Leben funktioniert. Offensichtlich besteht aber ein grundlegender Unterschied zwischen belebter und unbelebter Materie. Diesen Unterschied füllte man mit dem Konzept der Seele. Die Seele ist daher so etwas wie das Lebensprinzip, das, was aus unbelebter Materie belebte Materie macht und das, was verloren geht, wenn aus belebter Materie wieder unbelebte Materie wird. Leben ist beseelt. In dieser Bedeutung finden wir den Seelenbegriff in der Philosophie und in der christlichen Theologie bis in die Neuzeit. Schon im alten Testament steht: "Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen" (Genesis 2,7, Übersetzung Lutherbibel 2017). Ob die Seele dabei materiell oder immateriell sei, ob sie sterblich oder unsterblich sei, an die Person gebunden oder nicht, darüber wurde in der Geschichte der Philosophie und Theologie vielfach gestritten. Selbst in der christlichen Theologie gab es Positionen, die von einer körperlichen und sterblichen Seele ausgingen. Darauf kommt es aber nicht an. Der Begriff der Seele war ein Platzhalter für das mangelnde Wissen über das Leben. Damit hatte der Seelenbegriff die gleiche Funktion wie etwa die Begriffe des "Phlogiston" und des "Äthers". Auch diese Begriffe füllten eine Wissenslücke, die vor der Entstehung der Naturwissenschaften bestand. Das "Phlogiston" war der "Brennstoff", der nach damaliger Annahme bei jedem Verbrennungsvorgang den Substanzen hinzugefügt wurde, um den Verbrennungsprozess zu bewirken. Mit der Entwicklung der Chemie und der Kenntnisse der Oxidation gab es für diese Hilfskonstruktion keinen Bedarf mehr. Als die Kenntnisse über das Sonnensystem und den Weltraum zunahmen, konnte man sich nicht vorstellen, dass es einen leeren Raum geben könnte. Also nahm man an, zwischen den Sternen und Planeten befinde sich der "Äther", der den interstellaren Raum fülle. Auch diese Hilfsthese wurde mit der Weiterentwicklung der modernen Physik überflüssig. Genau so ist es auch mit der Seele. Mit der Entwicklung der Biologie begann man ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu verstehen, wie Leben funktioniert. Für den Begriff der Seele gab es daher keinen Bedarf mehr. Er wurde daher auch in der Philosophie und den Wissenschaften aufgegeben. Seine Bedeutung begann sich zunächst hin zum "Ich", "Ich-Bewusstsein", "Willen" zu verschieben. Letztlich ersetzten diese Begriffe dann den Begriff der Seele. An die Stelle der metaphysischen Seelenvorstellung trat ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die wissenschaftliche Psychologie. Albert Friedrich Lange forderte in seiner "Geschichte des Materialismus" (1866), in der er die philosophischen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Zeit darstellt, eine "Psychologie ohne Seele" (Kapitel: "Die naturwissenschaftliche Psychologie"). Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist Seele damit nur noch ein religiöser Begriff. An die Stelle des Seelenbegriffes trat in der modernen Philosophie und Psychologie der Begriff des Ichs – auch der Person, des Selbst, des Bewusstseins, des Subjekts. Die "Psychologie wurde die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen" (Werner Stangl, 2022, Seele. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik; Abruf 03.07.22). In vielen psychologischen Lexika findet sich der Begriff Seele nicht. Natürlich geht ein solcher Vorgang nicht geradlinig von statten. Neben modernen Begriffen und wissenschaftlichen Ansätzen findet man lange immer noch Reste vorwissenschaftlicher und religiöser Vorstellungen, insbesondere auch bei Freud. Mit ihm entsteht zum ersten Mal eine wissenschaftlich geprägte Praxis des therapeutischen Umgangs mit psychischen Problemen. Für seine theoretische Begrifflichkeit greift Freud aber teilweise noch auf das alte theologisch geprägte Seelenkonzept zurück: "An seinen Briefpartner Graddeck schrieb Freud: 'Es scheint mir ebenso mutwillig, die Natur durchwegs zu beseelen, wie sie radikal zu entgeistern. Lassen wir ihr jedoch ihre großartige Mannigfaltigkeit, die vom Unbelebten zum organischen Belebten, vom Körperlichlebenden zum Seelischen aufsteigt.'"– "In Freuds 'Modell der Seele' fließen spätromantische Traditionen ein, es finden sich Gedanken der 'romantischen Medizin', die er mit größter Selbstverständlichkeit mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verbindet" (Hartmann Hinterhuber, Freud und sein Seelenapparat, in: Die Seele. Springer, Wien, 2001, S. 141–145, hier S. 142; Abruf 03.07.22). Heutige Verwendung nur noch im religiösen Bereich In der Religion blieb der Seelenbegriff erhalten. Dies liegt daran, dass der Seelenbegriff in der Religion mit dem Gottesbegriff untrennbar verknüpft ist. Gott schuf nach dem religiösen Weltbild den Menschen und hauchte ihm seinen göttlichen Odem ein: die Seele. Zwar hat sich die christliche Religion im Prozess ihrer Säkularisierung vom göttlichen Schöpfungsmythos verabschiedet, weil auch diese Hilfskonstruktion nach der Entwicklung der Evolutionsbiologie nicht länger haltbar war, vom Seelenbegriff konnte und kann sich die christliche Theologie aber nicht verabschieden, da die Seele die Verknüpfung zwischen Gott und Mensch garantiert und damit das Unsterbliche am Menschen sein soll. "Die Unterscheidung v. Leib u. S." ist "theologisch unaufgebbar" (Gisbert Greshake, Stichwort Seele, VI Systematisch-theologisch, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg/Basel/Wien 2009, Bd. 9, Sp. 378f, hier Sp. 378). "Seele" ist daher seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ein religiöser Begriff geworden: "Dabei bildet die Annahme, mentale Zustände könnten über den Tod hinaus Bestand haben, das Zentrum des Seelenbegriffs" (Werner Stangl, 2022, Seele. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik; Abruf 03.07.22). Wie immer im Prozess der Säkularisierung greifen die Religionen ab dem 19. Jahrhundert nun die modernen Entwicklungen auf und versuchen diese in ihre theologischen Konzepte zu integrieren, um anschlussfähig zu bleiben. Dies trifft auch auf den religiösen Seelenbegriff zu. Die christliche Theologie entwickelt einen neuen Seelenbegriff, der im Gegensatz zu der Tradition vor dem 20. Jahrhundert nun erstmals in Aufnahme der modernen säkularen Entwicklungen auf die "Sinnbezogenheit, Innerlichkeit u. Intentionalität der menschlichen Person" abstellt. Dieser Seelenbegriff wird im Kontext des "therapeut. Paradigma einer heilenden Seelsorge entwickelt" (Laurtentius Koch, Stichwort Seele, VII Praktisch-theologisch, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg/Basel/Wien 2009, Bd. 9, Sp. 379f, hier Sp. 379). Der aktuelle theologische Seelenbegriff entwickelt sich im Kontext einer Reform des Seelsorgekonzepts, die ihren Ausgang in der Mitte des 20. Jahrhunderts hatte. Heute wird religiöse Seelsorge als "Gesprächsseelsorge" betrieben, bei der es um die zwischenmenschlichen Beziehungen geht, und als heilende, therapeutische Seelsorge, "die den einzelnen im Horizont der Liebe Gottes unter Einbeziehung psychol. Kompetenz zu vertiefter Selbstakzeptanz verhelfen u. seine Gemeinschaftsfähigkeit stärken möchte" (Phillip Müller, Stichwort Seelsorge, I Begriff und Formen, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg/Basel/Wien 2009, Bd. 9, Sp. 383f, hier Sp. 383). Ganz bewusst werden moderne psychologische und soziologische Kenntnisse und Praktiken einbezogen. Aktuelle Seelsorge ist zu einem erheblichen Teil eine religiös angereicherte Gesprächs- beziehungsweise Psychotherapie. Diese Anreicherung führt jedoch zu einem Qualitätsverlust. Moderne Gesprächs- und Psychotherapien lassen sich nicht einfach mit religiösen Elementen verbinden. Zu Konzepten, die von der Autonomie des Menschen ausgehen, lässt sich die Abhängigkeit von einer nicht diesseitigen Instanz nicht reibungslos hinzufügen. Entweder muss ich mit mir und meinen Mitmenschen selber klarkommen oder ich muss mich gegenüber einer göttlichen Instanz positionieren. Beides ist jeweils ein anderes Konzept vom Menschsein. Je nachdem, von welchem Konzept ich ausgehe, habe ich einen grundsätzlich anderen Ansatz im Umgang mit sozialen und psychischen Problemen. Dieser Qualitätsverlust gegenüber professionellen Therapie- und Beratungskonzepten zeigt sich auch an der Art der praktizierten religiösen Seelsorgeausbildung. Sie ist "learning by doing" (Karl Frielingsdorf, Stichwort Seelsorgeausbildung, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg/Basel/Wien 2009, Bd. 9, Sp. 388f, hier Sp. 388). Was ist "Seelsorge"? Was verstehen Menschen heute unter "Seelsorge"? Wenn man den Begriff bei Google eingibt, erscheinen ausschließlich religiöse Seelsorgeangebote. Auch der Wikipedia-Artikel weist Seelsorge als ein religiöses Konzept aus. Das Bundesministerium für Verteidigung erklärt, was Seelsorge im Militär ist: "Die Militärseelsorge schlägt die Brücke zwischen dem christlichen Glauben und dem militärischen Auftrag der Soldaten. In Deutschland sind Gottesdienste und Messen in den Standorten die Hauptaufgabe der Militärseelsorger" (https://www.bmvg.de/de/themen/personal/fuer-und-seelsorge; Abruf 03.07.2022). Auch die Krankenhausseelsorge ist ganz selbstverständlich eine religiöse Leistung. Viele Krankenhäuser bieten auf ihren Webseiten eine solche religiöse Seelsorge an (vgl. u.a. die Seelsorgeseite des Universitätsklinikums Würzburg: https://www.ukw.de/zentraleeinrichtungen/seelsorge/startseite/; Abruf 03.07.22). Wenn man sich ein solches Konzept der Krankenhausseelsorge einmal genauer ansieht, stellt man fest, dass es sich – wie nach dem oben Ausgeführten zu erwarten war – um eine Mischung aus therapeutischer Unterstützung und religiöser Orientierung handelt: "Wir bieten an, bei der Auseinandersetzung mit der Situation der Erkrankung unterstützend zur Seite zu sein. Wir sind da für Gespräche. Wir helfen, das, was seelisch in Patienten vorgeht, zum Ausdruck bringen zu können. Wir geben die Gelegenheit, auszusprechen, was unter dem Eindruck der gegebenen Umstände bewegt. Wir hören zu. Wir teilen die Hilf- und Wortlosigkeit mit Patienten und schweigen mit ihnen. Wir stehen bei und trösten, halten Schweres, Leidvolles, Unerträgliches mit aus. Wir helfen, zu finden, was Kraft und Halt geben kann, die augenblickliche Situation durchzustehen. Wir stellen spirituelle bzw. religiöse Deutungsmöglichkeiten und Sichtweisen zur Verfügung. Wir sprechen den Glauben als mögliche Kraftressource an. Wir bringen ermutigende Worte aus der christlich-jüdischen Tradition zur Sprache. Wir bieten Rituale an, wie u. a. Gebet, Segen, Abendmahl oder Salbung. Wir feiern Gottesdienste zur Ermutigung und inneren Stärkung. Wir unterstützen bei der Suche nach Orientierung und Hilfe und verstärken vorhandene Kraftressourcen. Wir versuchen Perspektivwechsel anzustoßen bzw. Hoffnungsfenster zu öffnen. Wir helfen bei dem Bemühen, das Krankheitserleben in die vorhandenen Lebenszusammenhänge zu integrieren. Wir begleiten Menschen im Sterben. Wir stehen Angehörigen von Verstorbenen in akuter Trauersituation zur Seite. Wir führen auf Wunsch Abschiedsrituale durch. Wir stehen Angehörigen von Patienten für unterstützende und entlastende Gespräche zur Verfügung." (https://immanuel.de/ueberuns/seelsorge-in-der-immanuel-albertinen-diakonie/was-machen-wir-in-der-seelsorge/; Abruf 03.07.22). Beratende, unterstützende Angebote werden mit Angeboten eines religiösen Kultus vermischt. Diese – aus einer professionellen Perspektive – krude Mischung ist "Seelsorge". Ich habe bis Seite fünf bei Google nachgesehen. Es fanden sich ausschließlich solch religiöse Angebote. Der Seelsorgebegriff ist nur religiös besetzt. Um das Ergebnis zusammenzufassen: "Seele" ist ein vormoderner, vorwissenschaftlicher Begriff, der das Lebensprinzip bezeichnet. Er findet seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Philosophie und Wissenschaft zunehmend keine Anwendung mehr und wird zu einem religiösen Begriff. An die Stelle des Seelenbegriffs tritt das "Ich". Der religiöse Begriff der Seele wird mit diesen modernen Konzepten des Ichs angereichert. "Seelsorge" ist ebenfalls ein religiöser Begriff und zugleich eine religiöse Praxis, in der versucht wird, moderne Beratungs- und Therapiekonzepte in ein religiöses Menschenbild zu integrieren. Eine heutigen professionellen Standards entsprechende Ausbildung religiöser Seelsorger gibt es nicht. Es kann sie auch nicht geben, da die religiöse Orientierung mit wissenschaftlichen Standards nicht vereinbar ist. Für den Humanismus nicht geeignet Sollen wir bei dieser Lage ein humanistisch orientiertes Lebensberatungs- beziehungsweise Unterstützungsangebot "humanistische Seelsorge" nennen? Ich denke, das kann man als weltanschaulicher Humanist nur ablehnen. Der weltanschauliche Humanismus fußt in der Tradition der Aufklärung, der Wissenschaft und des Freidenkertums. In dieser Tradition wurde Mitte des 19. Jahrhunderts der Begriff der Seele als eines Lebensprinzips ad acta gelegt. Man geht nicht länger davon aus, dass der Mensch eine "Seele" hat – egal wie sie aussehen soll. Der weltanschauliche Humanismus steht in der modernen philosophischen und wissenschaftlichen Traditionslinie, die den Menschen als Individuum, als Person begreift, deren Zentrum das "Ich" ist. Wenn man den Menschen so begreift, gibt es für ein Konzept von "Seele" keinen Bedarf und keinen Raum. Also können wir als Humanisten auch keine "Seelsorge" betreiben. Wir sollten an unsere Tradition anknüpfen und nicht versuchen, uns religionsähnlich zu machen. In unserer aufklärerisch-wissenschaftlichen Tradition steht auch die Entwicklung einer wissenschaftlich fundierten, professionellen pädagogischen, sozialen und therapeutischen Arbeit. Unsere Kindergärtnerinnen werden heute professionell ausgebildet und leiten ihre Kompetenz nicht, wie dies früher kirchliche Erzieherinnen taten, aus ihrer natürlichen Mütterlichkeit ab. Sofern wir im Bereich einer humanistisch orientierten Lebensberatung beziehungsweise -therapie tätig werden wollen, müssen wir entsprechende professionelle Standards einhalten. Der Begriff "Seelsorge" steht nicht für solche professionellen Standards und er kann es auch nicht, weil er mit dem religiösen Konzept einer jenseitigen Autoritätsinstanz untrennbar verknüpft ist. Selbst wenn man all das ignorieren wollte, erscheint es ausgeschlossen, dass es uns gelingen könnte, bei der eindeutigen Bedeutung des Begriffes "Seelsorge" als einer religiösen Betreuungstätigkeit, einen säkularen, humanistischen Begriff von "Seelsorge" zu etablieren. Zudem wäre ein solches Vorgehen von hinten durch die Brust ins Auge geschossen. Anstatt an unsere eigenen Traditionslinien anzuknüpfen, würden wir stattdessen auf die religiöse Form, die diese Tradition in ihrer Adaption durch die Religionen erhalten hat, zurückgreifen – und damit so tun, als gäbe es da einen relevanten Gehalt, der in unserer eigenen Tradition nicht enthalten sei. Wir würden dann dem religiösen Seelsorgebegriff das wieder entnehmen, was die Religionen ihm im Prozess der Säkularisierung unter Rückgriff auf das moderne Konzept des Ichs überhaupt erst hinzugefügt haben. Als ich in Potsdam in den 90er Jahren Jura studiert habe, wurde dort folgende Anekdote erzählt: Nach der Gründung der DDR überlegte man im Justizministerium, wie ein sozialistisches Zivilrecht aussehen könnte. Man suchte nach Vorbildern und zog dafür ein sowjetisches Lehrbuch des Zivilrechts heran. Was man nicht wusste, und dem Buch auch nicht entnehmen konnte, war, dass es sich dabei um die russische Übersetzung eines deutschen Zivilrechtslehrbuchs aus der Weimarer Zeit handelte ... So würden wir auch handeln, wenn wir das moderne Konzept des Ichs über die religiöse Aneignung im derzeitigen religiösen Seelenkonzept aufnehmen würden. Das Original des modernen Verständnisses vom "Ich", welches im religiösen Seelenbegriff heute teilweise enthalten ist, stammt aus der aufklärerischen, wissenschaftlichen, humanistischen Tradition, aus unserer Tradition. Wir benötigen keinen Rückgriff auf eine religiöse Kopie. Die humanistische Orientierung war schon immer eine, in der Mitgefühl für die psychischen Probleme des Anderen eine wesentliche Rolle spielt. Es gehört zur humanistischen Identität, sich um seine Mitmenschen zu kümmern, sie zu unterstützen und ihnen zu helfen, wenn es ihnen schlecht geht. Sofern solche Mitmenschlichkeit institutionalisiert geübt wird, geschieht dies in einer professionellen Art und Weise. Die humanistischen Verbände sind, seit es sie gibt, in der sozialen, unterstützenden Arbeit tätig. Dazu bedarf es keines Seelenbegriffs. Der religiöse Seelenbegriff enthält nichts, was wir als Humanisten brauchen würden, um unsere eigene weltanschauliche Position zu verbessern oder besser nach außen darzustellen. Was Humanität, Mitmenschlichkeit, Mitgefühl, zwischenmenschliche Hilfe, Unterstützung in schwierigen psychischen Situationen und Solidarität ist, brauchen wir uns als Humanisten wahrlich nicht von den Religionen erzählen zu lassen. Es ist auch nicht anzunehmen, dass wir mit einem Konzept der "Seelsorge" konfessionsfreie oder humanistisch orientierte Menschen erreichen könnten. Wen wollen wir ansprechen? Offensichtlich keine religiösen Menschen, sondern Menschen, die eine humanistische Orientierung haben und sich eine entsprechend ausgerichtete Unterstützung wünschen. Menschen aber, die sich nicht als religiös verstehen, glauben auch nicht, dass sie eine "Seele" haben und wissen damit auch nicht, was sie bei einem "Seelsorger", sei er humanistisch oder nicht, suchen sollten. Ich habe in meinem Bekanntenkreis gefragt: Keiner meinte, dass er eine "Seele" besitze, niemand würde zu einem humanistischen "Seelsorger" gehen. Man wird nicht annehmen können, dass ein nicht-religiöser Mensch, der in einer persönlichen Krisensituation nicht auf die Idee käme, zu einem "Seelsorger" zu gehen, dies nun tut, weil man diesem Seelsorger das Adjektiv "humanistisch" vorangestellt hat. Nicht-religiöse Menschen werden unter "Seelsorge" irgendeine Form von religiös orientierter Beratung erwarten. Und genau das wünschen sie nicht. Wenn die humanistischen Verbände eine humanistische Lebensberatung beziehungsweise -therapie anbieten wollen, brauchen sie dafür ein klares eigenes, humanistisches Profil. Mit dem Begriff "Seelsorge" bekommt man das nicht. Wer meint, eine Seele zu haben, der geht zum religiösen Original und nicht zur humanistischen Kopie. Die Verbände brauchen eine klare Sprachregelung, wie sie ihre humanistische Lebensberatungstätigkeit nach außen darstellen. Dies ist ein Teil der Corporate Identity der Verbände. Es ist ein Fehler, der Einfachheit halber zu sagen: "Wir machen sowas wie Seelsorge." Nein, das machen die humanistischen Verbände nicht.

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