Seit 2003 wird auf Veranlassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Vereinigung für Suizidprävention (IASP) jeweils der 10. September als "Welttag der Suizidprävention" begangen. Er soll daran erinnern, dass Suizid eines der größten Gesundheitsprobleme der Menschheit darstellt: Jedes Jahr nehmen sich weltweit bis zu etwa 800.000 Menschen das Leben. Das ist, wie die WHO 2014 festhielt, eine Person alle 40 Sekunden.
Beim Engagement für das Ziel, die Zahl der weltweiten Suizide zu verringern, wird aber oft vergessen, dass die Zahl der Suizidversuche, welche weltweit in einem Jahr unternommen werden, auf das 10- bis 20-fache geschätzt wird und in Industriestaaten bis zu 50-mal höher als die Anzahl der Suizide sein könnte. Darauf wies der Schweizerische Bundesrat am 9. Januar 2002 in seiner Antwort auf die Anfrage eines Parlamentsmitglieds zu Suiziden und Suizidversuchen hin. Demnach erreicht die Zahl der jährlichen weltweiten Suizidversuche bis zu 40 Millionen. Dies bedeutet, dass in jeder Minute weltweit bis zu rund 76 Personen den Versuch unternehmen, ihr Leben zu beenden.
Dies zeigt, dass Anstrengungen allein zur Vermeidung von Suiziden nicht genügen können. Vielmehr ist es mindestens so wichtig, die Zahl der Suizidversuche zu reduzieren. Dies kann jedoch nur dort gelingen, wo über Suizid offen gesprochen werden darf. Ohne Tabu und ohne das Risiko, abgelehnt, stigmatisiert und als psychisch krank abgestempelt zu werden. Es gehört zum menschlichen Leben, dass Krisen auftreten, die glauben lassen, dass es doch am besten und einfachsten sei, nicht mehr zu leben. Darüber sollte risikolos mit anderen gesprochen werden können.
Die Erfahrungen in der Schweiz zeigen, dass die Offenheit der großen Mehrheit der Bevölkerung für die Möglichkeit, das eigene Leiden und Leben auf sicheren Wegen, ärztlich unterstützt, legal und professionell begleitet, mit Hilfe einer gemeinnützigen Organisation beenden zu können, in dieser Hinsicht bedeutende Entlastung bringt. An Suizid denkende Menschen, die sich an diese Organisationen wenden, wissen, dass sie dort deswegen nicht abgelehnt und als psychisch krank etikettiert werden. Sondern, dass sie dort ergebnisoffen und umfassend beraten werden und ihre Gesprächspartner ihnen auf Augenhöhe begegnen.
Wer Suizid als etwas Unzulässiges, Unanständiges, Sündiges oder Ähnliches ansieht, steht im Widerspruch dazu. Er ist schon damit zufrieden, dass ein Suizidversuch scheitert – was bedeutet, dass die Statistik einen Suizid weniger verzeichnet. Wie es der betroffenen Person nach dem Scheitern geht, interessiert solche Kreise wenig. Sie halten das Suizid-Tabu aufrecht und stülpen Hilfesuchenden ihre rigide Haltung über. Da überrascht es wenig, dass das Schweizer Bundesamt für Gesundheit in der Publikation "Nationale Strategie Palliative Care 2013–2015" mit Verweis auf den Bericht "Palliative Care, Suizidprävention und organisierte Suizidhilfe" vom Juni 2011 festhält, dass "heute in der Gesellschaft in erster Linie Suizidhilfeorganisationen als Möglichkeit zur Wahrung der Selbstbestimmung am Lebensende wahrgenommen werden".
Wer die Zahl von Suiziden und Suizidversuchen wirklich verringern will, sollte grundsätzlich "ja" zur Möglichkeit sagen, dass ein Mensch selbst entscheidet, wann und wie er sein Leiden und Leben beenden will. Dies entspricht wahrem Respekt gegenüber Menschen, die wünschen, ihr Leben beenden zu können. Wenn die Gesellschaft dafür sorgt, dass Organisationen, welche in dieser Lage beratend und helfend tätig werden, im Interesse der Freiheit der Menschen arbeiten dürfen, unterstützt dies das Ziel der Reduktion von Suizidversuchen und Suiziden am besten.
↧