Angehende Sozialarbeiter*innen sind wenig religiös und betrachten die Kirchen oft kritisch. Trotzdem gehören viele von ihnen einer christlichen Konfession an – wohl aus Angst, keine Stelle zu finden. Selbst finanzielle Einbußen durch die Kirchensteuer nehmen sie dafür offenbar in Kauf. Eine neue Studie zeigt die Auswirkungen der diskriminierenden Einstellungspolitik kirchlicher Einrichtungen.
Eine Pädagogin wird nach ihrem Kirchenaustritt gekündigt und gilt in ihrer katholisch geprägten Gegend fortan als unvermittelbar. Eine ungetaufte Bewerberin auf eine Stelle als Sozialpädagogin erhält im Vorstellungsgespräch bei der Diakonie das Angebot, sich taufen zu lassen. Und zwar gleich im Nebenzimmer vom Chef, dem Pfarrer. Eine konfessionsfreie Sozialarbeiterin findet nach dem Studium in in Deutschland keine Stelle , da die meisten Arbeitsplätze Kirchenmitgliedern vorbehalten sind. Als sie nach mehreren Jahren Tätigkeit im Ausland nach Deutschland zurückkehrt, muss sie erleben, dass die weltanschauliche Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt weitergeht.
Das sind nur drei von zahllosen Fällen für die diskriminierende Einstellungspolitik der Kirchen. Die Angehörigen sozialer Berufe sind in besonderem Maße betroffen, denn für sie stellen katholische und evangelische Einrichtungen bedeutende Beschäftigungsfelder dar. Mit insgesamt rund anderthalb Millionen Beschäftigten sind sie nach eigenen Angaben der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem öffentlichen Dienst. Wer Soziale Arbeit oder Sozialpädagogik studiert hat, kommt bei der Stellensuche kaum an den beiden großen kirchlichen Verbänden Caritas und Diakonie vorbei. Etwa 1,1 Millionen Menschen sind dort tätig, häufig nur unter der Bedingung, einer Kirche anzugehören.
Konfessionsfreie Studierende müssen also mit massiven Problemen bei der Stellensuche rechnen. Wie sie damit umgehen, wurde nun in einer Bachelorarbeit an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg-Schweinfurt untersucht. Marilyn Blamberg befragte dazu in einer ausführlichen quantitativen Untersuchung 238 Studierende der Sozialen Arbeit zu Konfessionszugehörigkeit und Religiosität. Ihr Fazit ist eindeutig: "Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich die meisten Studierenden den beruflichen Einschränkungen durch fehlende Konfessionszugehörigkeit bewusst sind und deshalb die Gründe für ihre Mitgliedschaft beeinflusst werden."
Immerhin 212 der 238 Befragten gaben an, einer Religionsgemeinschaft anzugehören, davon waren 55,5 Prozent Katholiken, 37 Prozent in der evangelischen Kirche. 6,2 Prozent gehörten einer evangelischen Freikirche an und 1,4 Prozent einer anderen christlichen Gruppe. Von den 26 Konfessionsfreien waren nur zehn Personen aus der Kirche ausgetreten. 16 Personen gaben an, dass sie noch nie einer Glaubensgemeinschaft angehört hatten. In der Durchschnittsbevölkerung ist der Anteil der konfessionell Gebundenen deutlich geringer. Katholiken und Protestanten bilden zusammen nur 54 Prozent, Tendenz sinkend. Dem gegenüber stehen 37 Prozent Konfessionsfreie.
Allerdings vertraten die meisten befragten Studierenden klar kirchenkritische Positionen. So fanden 67,4 Prozent, die Kirche habe bei weitem zu viel Macht. Darüber hinaus waren unter ihnen weniger Gläubige, als die hohe Zahl von Kirchenmitgliedern vielleicht erwarten ließe. Von den Befragten bezeichneten sich 181 als überhaupt nicht (33,6 Prozent) oder wenig religiös (42,2 Prozent). Nur 19,7 Prozent schätzten sich als religiös ein, nur 4,2 Prozent, also 10 Personen, waren nach eigenen Angaben sehr religiös.
Die Gründe, warum viele dennoch in der Kirche waren, liegen auf der Hand: Viele künftige Fachkräfte wollen der beruflichen Diskriminierung wegen Konfessionsfreiheit entgehen. "Ich bin in der Kirche, weil ich befürchte, ansonsten später geringere Chancen auf eine Anstellung als Sozialarbeiter*in zu haben." Dieser Aussage stimmten insgesamt 41,6 Prozent der Befragten zu. 75,1 Prozent der Befragten waren der Ansicht, dass Sozialarbeiter*innen ohne Konfession weniger Stellenangebote zur Verfügung stehen als konfessionell gebundenen.
Die Ergebnisse von Marilyn Blambergs Studie stellen eine aufschlussreiche Ergänzung der Arbeit von Corinna Gekeler dar, die bei Veröffentlichung 2012 für Aufsehen gesorgt hatte. Die Politologin Gekeler hatte darin anhand von 35 Fallbeispielen dokumentiert, wie sich die diskriminierenden Privilegien kirchlicher Arbeitgeber auswirken. Auch sie berichtet, dass Studierenden nahegelegt wurde "ihre beruflichen Chancen nicht durch einen Kirchenaustritt einzuschränken".
Zusammengefasst: "Viele treten nur wegen der berechtigten Angst vor Benachteiligung oder Jobverlust nicht aus der Kirche aus, einige sogar deshalb ein bzw. lassen sich extra taufen. Viele bewerben sich gar nicht erst dort, wo sie vermutlich keine Chancen hätten oder diskriminiert würden, weil sie 'unmoralische' Lebensweisen nicht verheimlichen würden." Wer es sich aussuchen könne, wähle lieber einen Arbeitgeber außerhalb der Kirchen.
Die anderen bleiben an den Altar gekettet – und müssen zahlen. Auch darauf weist Marilyn Blamberg im Fazit ihrer Studie hin: "Der Einfluss der kirchlichen Arbeitgeber ist […] so stark, dass Menschen, die im sozialen Bereich tätig sind, teilweise lieber einen Teil ihres verdienten Geldes an eine Institution abgeben, vor deren Macht sie eigentlich eingeschüchtert sind, weil sie sich nicht in der Rolle des Diskriminierten sehen wollen."
Zum Weiterlesen:
Corinna Gekeler: Loyal dienen, Alibri Verlag 2013
GerDiA – Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz
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