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Kirchliches Arbeitsrecht: "Beide Kirchen bewegen sich nur millimeterweise"

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Seit Anfang 2017 gilt für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Einrichtungen in Trägerschaft von Diakonie und evangelischer Kirche eine neue Richtlinie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland über kirchliche Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie – kurz EKD-Loyalitätsrichtlinie genannt. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg sprach über die neue Richtlinie mit Ingrid Matthäus-Maier, Sprecherin der Kampagne GerDiA - Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz. hpd: Frau Matthäus-Maier, Anfang des Jahres ist eine neue Loyalitätsrichtlinie der EKD in Kraft getreten. Was regelt diese Loyalitätsrichtlinie und für wen gilt sie? Ingrid Matthäus-Maier: Die Richtlinie regelt die Anforderungen der evangelischen Kirche an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die in privatrechtlichen Dienst- und Arbeitsverhältnissen der evangelischen Kirche und der Diakonie beschäftigt sind. Das sind in Deutschland etwa 650.000 Personen. In §2 der Richtlinie heißt es: "Der Dienst der Kirche ist durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen. Alle Frauen und Männer, die in Anstellungsverhältnissen in Kirche und Diakonie tätig sind, tragen dazu bei, dass dieser Auftrag erfüllt werden kann."  Den meisten Menschen, die von einer Ärztin oder einem Krankenpfleger in einem evangelischen Krankenhaus behandelt werden, deren Kinder in einem Kindergarten der Diakonie betreut werden, die in einer evangelischen Schuldnerberatungsstelle unterstützt werden, oder deren Blut im Labor einer evangelischen Klinik untersucht wird, ist überhaupt nicht klar, dass die dort arbeitenden Menschen nicht nur den Auftrag haben, sie gut und professionell zu behandeln. Sie haben immer zugleich den Auftrag, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen.  Angesichts der Tatsache, dass alle die genannten Einrichtungen ganz oder größtenteils vom Staat oder der Sozialversicherung bezahlt werden, ist das schon für viele eine seltsame Vorstellung. Die evangelische Kirche darf sich (ebenso wie die katholische) bekanntlich tief ins Privatleben ihrer Mitarbeiter einmischen – und das obwohl, wie Sie gerade sagten,  evangelische Kirche und Diakonie ja viele, größtenteils mit öffentlichen Geldern und eben nicht durch die evangelische Kirche finanzierte Sozial- und Pflegeeinrichtungen betreibt. Das wurde in den Medien oft kritisiert. Gibt es diesbezüglich durch die neue Loyalitätsrichtlinie eine Verbesserung für die Angestellten? So wird es von der EKD dargestellt. Aus meiner Sicht gibt es im Gegenteil  sogar zwei Verschlechterungen: Zum einen taucht in der veränderten Richtlinie zum ersten Mal der Begriff "Dienstgemeinschaft" auf. Trotz schwerer Bedenken auch von theologischer Seite, z.B. von Prof. Kress von der evangelisch-theologischen Fakultät der Uni Bonn. Wegen der historischen Belastung aus dem Dritten Reich bringt der Begriff zum Ausdruck, dass die kirchlichen Arbeitnehmer "als Diener" in die Pflicht genommen werden, Zeugnis abzulegen für die religiösen Ziele des Dienstes. Mit diesem Begriff bewegt sich die EKD nach rückwärts statt in die Zukunft mit einem modernen Arbeitsrecht mit Gewerkschaften und Tarifverträgen. "Der Kreis derer, von denen eine besondere christliche Lebensführung erwartet wird, wird nicht etwa begrenzt, sondern sogar noch erweitert." Die zweite Verschlechterung der neuen Richtlinie: Zu der erwarteten Lebensführung hieß es in der alten Richtlinie in § 4 Abs.2:  "Von evangelischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie Schrift und Bekenntnis anerkennen. Sofern sie in der Verkündigung, Seelsorge Unterweisung oder Leitung tätig sind, wird eine inner- und außerdienstliche Lebensführung erwartet, die der übernommenen Verantwortung  entspricht". Diese Einschränkung fehlt in der neuen Richtlinie, § 4 Abs.2. Dort heißt es: "Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind verpflichtet, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes so zu verhalten, dass die glaubwürdige Ausübung ihres jeweiligen Dienstes nicht beeinträchtigt wird." Der Kreis derer, von denen eine besondere christliche Lebensführung erwartet wird, wird nicht etwa begrenzt, sondern sogar noch erweitert. Was bedeutet die neue Richtlinie für Menschen, die eine andere christliche Konfession oder sogar einen ganz anderen Glauben haben? Dürfen die in evangelischen Einrichtungen arbeiten? Grundsätzlich nicht. Wie schon in der Vergangenheit setzt die Einstellung grundsätzlich die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche voraus.  Hier gibt es eine  leichte Verbesserung: nach der alten Richtlinie war für Aufgaben außerhalb von Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung und Leitung die Einstellung auch ohne Kirchenmitgliedschaft möglich, wenn andere geeignete Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen nicht zu gewinnen waren. Deswegen können seit Jahren türkische Putzfrauen in der Klink putzen oder Pflegeleistungen übernehmen. Jetzt heißt es allgemeiner, dass unter bestimmten Konditionen für alle übrigen Aufgaben auch Personen eingestellt werden können, die keiner christlichen Kirche angehören. Wohlgemerkt: Nach wie vor nicht im Leitungsbereich!    Was ist mit Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind? Die werden nicht eingestellt. Und was bedeutet das für Mitarbeiter, die sich zum Kirchenaustritt entschließen, während sie bei der Diakonie oder bei anderen evangelischen Einrichtungen angestellt sind? Da ist die Richtlinie besonders klar: § 5 Abs. 2: "Für den weiteren Dienst in der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie kommt nicht in Betracht, wer während des Arbeitsverhältnisses aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist" - ohne die Mitgliedschaft in einer anderen Kirche der "Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen" zu erwerben. Übrigens erweist sich an dieser Stelle die verhängnisvolle Wirkung des Einzugs der Kirchensteuer durch den Staat (Staatsinkasso) über die Finanzämter. Auch wer die beste Arbeit in der Diakonie leistet und dies auch nach einem Kirchenaustritt nicht ändern will, hat keine Chance. Der Arbeitgeber Kirche sieht an der Lohnsteuerkarte, ob der Mitarbeiter Mitglied der Kirche ist oder nicht. Der berühmte Fall des Buchhalters, der in einer kirchlichen Einrichtung gute Arbeit leistete, der aber sofort seine Stelle verlor, als die Kirche auf der Lohnsteuerkarte sah, dass er aus der Kirche ausgetreten war, ohne ihr das zu sagen. Leider hat das Bundesverfassungsgericht dies damals zulasten des Buchhalters entschieden, obwohl es in unsere Verfassung heißt, niemand sei verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Das heißt also: Wenn ich als Putzfrau bei der Diakonie arbeite und aus der Kirche austrete oder mir am Karfreitag "Das Leben des Brian" anschaue (Stichwort: Lebensführung), kann man mir kündigen? Und das selbst dann, wenn ich in einer Einrichtung der Diakonie arbeite, die überwiegend mit öffentlichen Geldern betrieben wird. Ist das richtig? Genauso ist es. D.h. wer einmal als Kirchenmitglied drin ist, kommt nie mehr raus, weil er sonst den Job verliert. Darüber findet im Moment ein Verfahren bei der Rummelsberger Diakonie statt. Ergebnis: Menschen, die konfessionslos werden wollen, kommen nicht raus (Jobverlust), Menschen, die von vornherein konfessionslos sind, kommen gar nicht erst rein. Das nenne ich "Zwangschristianisierung". Aber Moment mal: Der EKD-Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hat doch erst Ende März in einem Interview beim Deutschlandfunk gesagt, er wolle, "dass Menschen aus innerster Überzeugung Mitglied der Kirche sind und nicht aus Angst vor sozialen Sanktionen". Wie passt das mit der neuen EKD-Loyalitätsrichtlinie zusammen? Dieses heutige kirchliche Arbeitsrecht ist und bleibt ein Skandal. Bezahlt aus Steuergeldern und Sozialleistungen, fast ohne eigenen finanziellen Beitrag der Kirchen werden Hundertausende von Menschen in Einrichtungen von Kirche und Diakonie gezwungen, gegen ihre Überzeugung Mitglied der Kirche zu werden oder zu bleiben, weil sie sonst den Arbeitsplatz nicht erhalten oder verlieren. Aus meiner Sicht ein klarer Verstoß gegen Art.4 unseres Grundgesetzes. Und gegen das Gebot der Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe. Würde Bischof Bedford-Strohm seine Worte ernst nehmen, müsste er endlich bereit sein, das kirchliche Arbeitsrecht aufzugeben – wie es viele und immer mehr Menschen gerade auch aus Kirchenkreisen fordern. Solange er das nicht tut, fällt mir zu seinem Verhalten nur ein: unglaubwürdig. Man kann es auch härter formulieren: scheinheilig! "Dieses heutige kirchliche Arbeitsrecht ist und bleibt ein Skandal." Wo wir gerade bei der Kirche als Arbeitgeber sind: Wie sieht es derzeit eigentlich bei der katholischen Kirche aus? Die hatte doch vor einiger Zeit verlauten lassen, dass das mit der Kündigung von wiederverheirateten Geschiedenen und offen homosexuell lebenden Menschen in katholischen Einrichtungen gar nicht mehr so streng gehandhabt würde. Die Situation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hinsichtlich ihres inner- und außerdienstlichen Verhaltens war und ist in der katholischen Kirche weitaus schlimmer. Die Kündigung von Wiederverheirateten oder von homosexuell lebenden Menschen bleibt ein Skandal. Daran hat sich im Prinzip nichts geändert. Neu ist, dass die katholische Kirche im Zusammenhang mit dem Chefarzt-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2014 in solchen Fällen nicht mehr die automatische Kündigung vorsieht, sondern  eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, z.B. das Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes, das Alter, die Beschäftigungsdauer, die Aussicht auf eine andere Beschäftigung.. Hinzu kommt, dass die Diözesen das unterschiedlich regeln können, sodass für die Beschäftigten ein hohes Rechtsrisiko besteht. Abschließend kann ich als Sprecherin  von GerDiA - Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz nur betonen. Beide Kirchen bewegen sich in der Frage des kirchlichen Arbeitsrechts nur millimeterweise, wollen das aber gerne als Reform verkünden. Solange die Politik nicht den Mut hat, endlich das kirchliche Arbeitsrecht anzupassen an das Arbeitsrecht, wie es bei der AWO, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und dem Roten Kreuz gilt, werden weiter Hunderttausende in ihrer persönlichen Lebensführung massiv eingeschränkt.  Im 21. Jahrhundert und auch im europaweiten Vergleich ein absolutes Kuriosum, für die betroffenen Familien oft ein persönliches Drama. Wenn man berücksichtigt, dass alle Untergerichte inklusive Bundesarbeitsgericht den Betroffenen Recht gegeben haben, kann man nur hoffen, dass entweder die Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts oder europäische Gerichte dem irgendwann ein Ende bereiten.

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